Business Model Canvas Workshop: Das Geschäftsmodell auf einer Seite

Ein Business Model Canvas Workshop ist ein strukturiertes Format, in dem Teams ihr Geschäftsmodell auf einer einzigen Seite visualisieren. Die neun Bausteine – von Kundensegmenten über Wertversprechen bis zur Kostenstruktur – werden gemeinsam erarbeitet und diskutiert. In etwa drei Stunden entsteht ein gemeinsames Verständnis darüber, wie das Unternehmen Wert schafft, liefert und erfasst.
Was ist das Business Model Canvas?
Das Business Model Canvas (BMC) wurde vom Schweizer Management-Berater Alexander Osterwalder und dem belgischen Informatiker Yves Pigneur entwickelt. Es erschien 2010 im Buch "Business Model Generation" und hat sich seitdem zum Standard-Tool für Geschäftsmodell-Entwicklung etabliert.
Die Grundidee ist einfach: Statt 30-seitiger Businesspläne eine visuelle Übersicht auf einer Seite. Die neun Bausteine decken alle wesentlichen Aspekte eines Geschäftsmodells ab und zeigen, wie sie zusammenhängen.
Die fünf Funktionen laut Strategyzer:
Das BMC eignet sich für Startups in der Gründungsphase ebenso wie für etablierte Unternehmen, die ihr Modell hinterfragen oder neue Produkte entwickeln wollen.
Die neun Bausteine im Überblick
Das Canvas ist in neun Felder aufgeteilt. Die rechte Seite fokussiert auf Kunden und Wertschöpfung, die linke Seite auf die operativen Grundlagen.
| Baustein | Kernfrage | Position im Canvas |
|---|---|---|
| Kundensegmente | Für wen schaffen wir Wert? | Rechts außen |
| Wertversprechen | Welchen Nutzen bieten wir? | Mitte |
| Kanäle | Wie erreichen wir Kunden? | Rechts Mitte |
| Kundenbeziehungen | Wie pflegen wir die Beziehung? | Rechts Mitte |
| Einnahmequellen | Wofür zahlen Kunden? | Rechts unten |
| Schlüsselressourcen | Was brauchen wir? | Links Mitte |
| Schlüsselaktivitäten | Was müssen wir tun? | Links Mitte |
| Schlüsselpartnerschaften | Wer unterstützt uns? | Links außen |
| Kostenstruktur | Was kostet das Ganze? | Links unten |
Die Bausteine im Detail
1. Kundensegmente (Customer Segments)
Wer sind die Menschen oder Organisationen, für die wir Wert schaffen? Nicht alle Kunden sind gleich – sie haben unterschiedliche Bedürfnisse, Verhaltensweisen und Zahlungsbereitschaften.
Fragen zur Erarbeitung:
- Für wen schaffen wir Wert?
- Wer sind unsere wichtigsten Kunden?
- Gibt es unterschiedliche Segmente mit unterschiedlichen Bedürfnissen?
- Massenmarkt oder Nische?
- Berufstätige auf dem Weg zur Arbeit (schnell, To-Go)
- Familien am Wochenende (Kuchen, Torten)
- Cafés und Restaurants (B2B-Belieferung)
2. Wertversprechen (Value Proposition)
Das Herzstück des Canvas. Welchen Nutzen bieten wir unseren Kunden? Warum sollten sie bei uns kaufen und nicht bei der Konkurrenz?
Fragen zur Erarbeitung:
- Welches Problem lösen wir?
- Welches Bedürfnis befriedigen wir?
- Was macht unser Angebot einzigartig?
- Welchen "Job" erledigen wir für den Kunden?
3. Kanäle (Channels)
Wie erreichen wir unsere Kunden? Wie erfahren sie von uns? Wie kaufen sie? Wie liefern wir?
Die fünf Phasen der Kundenreise:
4. Kundenbeziehungen (Customer Relationships)
Welche Art von Beziehung erwarten unsere Kunden? Und welche Beziehung ist wirtschaftlich sinnvoll?
Beziehungstypen:
- Persönliche Beratung
- Self-Service
- Automatisierte Dienste
- Communities
- Co-Creation (Kunden entwickeln mit)
5. Einnahmequellen (Revenue Streams)
Wofür sind Kunden bereit zu zahlen? Wie viel? Wie oft?
Einnahmemodelle:
- Verkauf von Produkten
- Nutzungsgebühren
- Abonnements
- Vermietung/Leasing
- Lizenzen
- Vermittlungsgebühren
- Werbung
6. Schlüsselressourcen (Key Resources)
Was brauchen wir, um das Wertversprechen zu liefern, die Kanäle zu betreiben und die Kundenbeziehungen zu pflegen?
Ressourcen-Kategorien:
- Physisch (Gebäude, Maschinen, Fahrzeuge)
- Intellektuell (Patente, Marken, Know-how)
- Human (Mitarbeitende mit Spezialwissen)
- Finanziell (Kapital, Kreditlinien)
7. Schlüsselaktivitäten (Key Activities)
Was müssen wir jeden Tag tun, damit das Geschäftsmodell funktioniert?
Aktivitäts-Kategorien:
- Produktion (bei produzierenden Unternehmen)
- Problemlösung (bei Beratungen, Agenturen)
- Plattform-Management (bei Plattform-Modellen)
8. Schlüsselpartnerschaften (Key Partnerships)
Wer sind unsere wichtigsten Partner? Was bekommen wir von ihnen, was wir selbst nicht haben?
Partnerschaftstypen:
- Strategische Allianzen (mit Nicht-Wettbewerbern)
- Coopetition (mit Wettbewerbern)
- Joint Ventures
- Lieferantenbeziehungen
9. Kostenstruktur (Cost Structure)
Was sind die wichtigsten Kosten? Welche Ressourcen und Aktivitäten kosten am meisten?
Kostenmodelle:
- Kostengetrieben (Minimierung von Kosten)
- Wertgetrieben (Premium-Angebot, Kosten sekundär)
Der 3-Stunden-Workshop: Schritt für Schritt
Vorbereitung
Material:
- Business Model Canvas als Poster (A0 oder größer)
- Post-its in verschiedenen Farben
- Marker
- Timer
Phase 1: Einführung (15 Minuten)
- Canvas und die neun Bausteine vorstellen
- Spielregeln klären: Eine Idee pro Post-it, keine Bewertung während des Brainstormings
- Scope definieren: Gesamtes Unternehmen oder ein Produkt/eine Geschäftseinheit?
Phase 2: Kundensegmente und Wertversprechen (45 Minuten)
Diese beiden Bausteine bilden das Fundament. Ohne Klarheit hier macht der Rest keinen Sinn.
Ablauf:
Phase 3: Rechte Seite – Kundeninteraktion (45 Minuten)
Kanäle, Kundenbeziehungen, Einnahmequellen.
Ablauf:
Pause (15 Minuten)
Wichtig: Nach 90 Minuten intensiver Arbeit braucht das Gehirn eine Pause.
Phase 4: Linke Seite – Operative Basis (45 Minuten)
Schlüsselressourcen, Schlüsselaktivitäten, Schlüsselpartnerschaften, Kostenstruktur.
Ablauf:
Phase 5: Gesamtbild und nächste Schritte (15 Minuten)
- Canvas als Ganzes betrachten: Ist das Modell stimmig?
- Größte Unsicherheiten identifizieren
- Nächste Schritte definieren: Was müssen wir validieren?
Business Model Canvas vs. Lean Canvas
Für Startups gibt es eine Variante: Das Lean Canvas von Ash Maurya ersetzt einige Bausteine durch startup-relevantere Elemente.
| BMC-Baustein | Lean Canvas |
|---|---|
| Schlüsselpartner | Problem |
| Schlüsselaktivitäten | Lösung |
| Schlüsselressourcen | Unfairer Vorteil |
| Kundenbeziehungen | Key Metrics |
Das Lean Canvas eignet sich besonders für frühe Phasen, wenn Problem und Lösung noch validiert werden müssen.
Praxisbeispiel: Canvas einer Online-Lernplattform
Kundensegmente:
- Berufstätige, die sich weiterbilden wollen
- HR-Abteilungen, die Mitarbeitende schulen
- Lernen in eigenem Tempo, von überall
- Praxisnahe Kurse von Experten
- Zertifikate für den Lebenslauf
- Online-Marketing (SEO, Paid Ads)
- Empfehlungen
- B2B-Vertrieb für Unternehmenskunden
- Self-Service mit Community-Support
- Persönlicher Kontakt für B2B-Kunden
- Einzelkurs-Verkäufe
- Abo-Modell (monatlich/jährlich)
- Unternehmenslizenzen
- Plattform-Technologie
- Kursersteller (Experten)
- Content-Bibliothek
- Kurs-Produktion
- Plattform-Betrieb
- Marketing & Sales
- Experten als Kursersteller
- Zahlungsanbieter
- Hosting-Provider
- Plattform-Entwicklung
- Marketing
- Content-Produktion
- Support
Typische Fehler im BMC-Workshop
Fehler 1: Zu schnell über Kundensegmente hinweggehen
"Unsere Kunden sind alle, die X brauchen" – das ist zu unspezifisch. Unterschiedliche Segmente haben unterschiedliche Bedürfnisse und erfordern unterschiedliche Wertversprechen.
Fehler 2: Wertversprechen als Feature-Liste
"Wir haben Feature A, B und C" beschreibt kein Wertversprechen. Was ist der Nutzen? Welches Problem wird gelöst?
Fehler 3: Einnahmequellen vergessen
Manche Teams sind so begeistert von ihrem Wertversprechen, dass sie vergessen: Am Ende muss Geld verdient werden.
Fehler 4: Canvas einmal ausfüllen und abheften
Ein Canvas ist ein lebendiges Dokument. Es sollte regelmäßig überprüft und aktualisiert werden – mindestens quartalsweise.
Fehler 5: Alleine ausfüllen
Der größte Wert entsteht in der Diskussion. Ein Canvas, das der Gründer alleine am Schreibtisch ausfüllt, verpasst die wichtigsten Erkenntnisse.
Weiterführende Tools
Value Proposition Canvas
Eine Vertiefung der Bausteine "Kundensegment" und "Wertversprechen". Es hilft, den Fit zwischen Kundenerwartungen und Angebot zu optimieren.
Aufbau:
- Customer Jobs (Was will der Kunde erreichen?)
- Pains (Was frustriert ihn?)
- Gains (Was wünscht er sich?)
- Pain Relievers (Wie lindern wir Schmerzen?)
- Gain Creators (Wie schaffen wir Nutzen?)
Sustainable Business Model Canvas
Ergänzt das klassische BMC um ökologische und soziale Aspekte. Für Unternehmen, die Nachhaltigkeit in ihr Geschäftsmodell integrieren wollen.
Digitale Tools für den Workshop
| Tool | Stärke | Kosten |
|---|---|---|
| Strategyzer | Offizielles Tool von den Erfindern | Ab 25$/Monat |
| Miro | Flexibles Whiteboard mit Templates | Freemium |
| Canvanizer | Einfach und kostenlos | Kostenlos |
| Mural | Kollaboratives Whiteboard | Ab 12$/Monat |
Für einen Workshop vor Ort empfehle ich immer noch Papier und Post-its. Die haptische Arbeit fördert Kreativität. Digitale Tools eignen sich besser für Remote-Sessions und Dokumentation.
Persönliche Erfahrung: Was BMC-Workshops bewirken
Der wertvollste BMC-Workshop, den ich erlebt habe, war nicht für ein Startup – sondern für einen etablierten Mittelständler. Das Unternehmen existierte seit 40 Jahren, aber niemand hatte je das Geschäftsmodell visualisiert.
Als wir das Canvas an die Wand hängten und anfingen zu diskutieren, wurde klar: Die Abteilungen hatten völlig unterschiedliche Vorstellungen davon, wer eigentlich die wichtigsten Kunden sind. Der Vertrieb nannte Großkunden, das Marketing fokussierte auf Endverbraucher, die Produktion dachte an Händler.
Drei Stunden später hatte das Team ein gemeinsames Bild. Nicht perfekt, nicht vollständig – aber zum ersten Mal ein Bild, das alle teilten. Der Geschäftsführer sagte: "Wir hätten das vor 10 Jahren machen sollen."
Das ist die eigentliche Stärke des Canvas: Es zwingt zur Klarheit und schafft ein gemeinsames Verständnis.
Wie lange dauert ein BMC-Workshop?
Mindestens 2-3 Stunden für einen ersten Durchlauf. Für tiefere Analyse und Iteration: Ein halber bis ganzer Tag.Wer sollte teilnehmen?
Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven: Gründer, Vertrieb, Produkt, Finanzen, Operations. 4-8 Personen sind ideal.Brauchen wir einen Moderator?
Hilfreich, aber nicht zwingend. Wichtig ist, dass jemand die Zeit im Blick behält und alle zu Wort kommen lässt.Für welche Unternehmensgröße eignet sich das BMC?
Für alle – vom Solo-Gründer bis zum Konzern. Bei größeren Unternehmen macht es Sinn, separate Canvas für verschiedene Geschäftsbereiche zu erstellen.Was machen wir nach dem Workshop mit dem Canvas?
Fotografieren, dokumentieren, teilen. Und dann: Regelmäßig überprüfen. Das Canvas ist ein Arbeitsdokument, kein Kunstwerk für die Wand.Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert im Dezember 2025.


