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Design Sprint: In nur 5 Tagen vom Problem zum getesteten Prototyp

Design Sprint: In nur 5 Tagen vom Problem zum getesteten Prototyp
Die Google-Ventures-Methode im Detail – straffer Zeitplan, klare Rollen und warum ein dedizierter Raum Pflicht ist.

Stand: Dezember 2025


Ein Design Sprint ist ein fünftägiges Workshop-Format, das Teams von der Problemdefinition bis zum getesteten Prototyp führt. Entwickelt von Jake Knapp bei Google Ventures, komprimiert diese Methode monatelange Arbeit in eine intensive Woche. Das Besondere: Am Ende wissen Sie, ob Ihre Idee funktioniert – bevor Sie auch nur eine Zeile Code schreiben oder Geld in Entwicklung investieren.

Die Statistik ist beeindruckend: Google Ventures hat Design Sprints mit über 100 Startups durchgeführt, darunter spätere Milliarden-Unternehmen wie Slack, Uber und Airbnb. In nur fünf Usertests am Freitag zeigen sich bereits 85% aller wichtigen Erkenntnisse. Diese Effizienz macht den Design Sprint zum Werkzeug der Wahl für Unternehmen, die schnell validieren wollen, ob eine Idee Marktpotenzial hat.

Als ich meinen ersten Design Sprint 2022 für ein Fintech-Startup moderierte, war die Geschäftsführerin skeptisch: "Fünf Tage für etwas, wofür wir sonst drei Monate brauchen?" Am Freitagnachmittag, nach dem letzten Nutzertest, hatte ihr Team klare Antworten – und musste eine ursprünglich geplante Feature-Entwicklung komplett überdenken. Der Sprint hatte dem Unternehmen geschätzt 200.000 Euro Fehlinvestition erspart.

Was ist ein Design Sprint – und was unterscheidet ihn von Design Thinking?

Der Design Sprint ist ein strukturierter 5-Tage-Prozess zur schnellen Problemlösung und Produktvalidierung. Er kombiniert Methoden aus Design Thinking, Lean Startup und agiler Entwicklung zu einem straff getakteten Format mit klaren Regeln, festen Rollen und einem einzigen Ziel: Am Ende der Woche wissen, ob die Idee funktioniert.

Jake Knapp entwickelte den Design Sprint ab 2010 bei Google, zunächst für interne Projekte wie Gmail und Google Hangouts. Ab 2012 verfeinerte er die Methode bei Google Ventures mit Braden Kowitz, Michael Margolis und John Zeratsky. 2016 erschien das Buch "Sprint", das die Methode weltweit bekannt machte.

AspektDesign SprintDesign Thinking
ZeitrahmenExakt 5 TageFlexibel (Stunden bis Wochen)
StrukturStreng getaktetIterativ, anpassbar
FokusEin konkretes ProblemOffene Innovationsfragen
OutputGetesteter PrototypKonzepte, Prototypen, Erkenntnisse
TeamgrößeMax. 7 Personen4-7 pro Arbeitsgruppe
EntscheiderEiner im RaumKonsensorientiert

Der wichtigste Unterschied: Design Thinking ist explorativ und offen, der Design Sprint ist fokussiert und entscheidungsorientiert. Ein Sprint eignet sich besonders für konkrete Produktfragen: "Sollen wir dieses Feature bauen?", "Wie lösen wir dieses Nutzerproblem?", "Hat unser neues Geschäftsmodell Potenzial?"

Der 5-Tage-Plan: Was passiert an welchem Tag?

Der Design Sprint folgt einem festen Ablauf: Montag wird das Problem verstanden und kartiert, Dienstag entstehen individuelle Lösungsskizzen, Mittwoch fällt die Entscheidung für den besten Ansatz, Donnerstag wird ein realistischer Prototyp gebaut, und Freitag testet das Team mit echten Nutzern. Jeder Tag hat klare Ziele und Methoden.

Montag: Map – Das Problem verstehen

Der Sprint beginnt mit dem Endpunkt: Welches langfristige Ziel verfolgen wir? Welche Fragen müssen wir beantworten? Das Team erstellt eine Karte des Problems, identifiziert die wichtigsten Akteure und wählt einen Fokusbereich für den Sprint.

Typischer Tagesablauf:

  • 10:00 – Langfristiges Ziel definieren
  • 11:00 – Sprint-Fragen formulieren
  • 13:00 – Mittagspause
  • 14:00 – Karte erstellen (Customer Journey)
  • 15:30 – Experten-Interviews
  • 17:00 – Zielbereich wählen
Der "Decider" – eine Person mit Entscheidungsbefugnis – wählt am Ende des Tages den Fokusbereich. Diese Rolle ist entscheidend: Ohne klare Entscheidungsgewalt verliert der Sprint seinen wichtigsten Vorteil, die Geschwindigkeit.

Dienstag: Sketch – Lösungen entwickeln

Am Dienstag arbeitet jedes Teammitglied individuell an Lösungsideen. Das klingt ungewöhnlich – schließlich propagieren viele Innovationsmethoden Teamarbeit. Doch Jake Knapp fand heraus: Einzelarbeit produziert bessere und vielfältigere Ideen als Gruppenbrainstorming.

Die zentrale Methode des Tages: "Crazy 8s" und "Solution Sketch". Bei Crazy 8s falten Teilnehmer ein Blatt dreimal, sodass acht Felder entstehen. In jeweils einer Minute skizzieren sie eine Idee pro Feld. Anschließend entwickeln sie ihre beste Idee zu einem detaillierten "Solution Sketch" – einem dreiseitigen Storyboard, das die Lösung erklärt.

Mittwoch: Decide – Die beste Idee wählen

Der Mittwoch bringt die Entscheidung. Das Team präsentiert die anonymisierten Sketches in einer "Art Museum"-Session, diskutiert die Ansätze und wählt per "Dot Voting" die vielversprechendsten aus. Der Decider trifft die finale Wahl.

Anschließend erstellt das Team ein Storyboard für den Prototyp: eine Schritt-für-Schritt-Visualisierung dessen, was am Donnerstag gebaut wird. Dieses Storyboard fungiert als Bauplan und verhindert Missverständnisse am nächsten Tag.

Donnerstag: Prototype – Bauen, was sich real anfühlt

Der Donnerstag gehört dem Prototyping. Das Ziel: Ein Prototyp, der sich für Testnutzer real anfühlt, aber an einem Tag entstehen kann. Das erfordert bewusste Kompromisse – nicht jedes Detail muss funktionieren, aber die Kerninteraktion muss erlebbar sein.

Prototyp-ArtToolsGeeignet für
Klick-DummyFigma, InVision, MarvelApps, Websites
Papier-PrototypPapier, Schere, StifteFrühe Konzepte
PowerPoint-DemoPowerPoint, KeynotePräsentationen, Flows
Video-PrototypPremiere, iMovieErklärungsbedürftige Konzepte
Physisches ModellPappe, 3D-DruckProdukte, Hardware

Die Faustregel: "Goldilocks Quality" – gut genug, um getestet zu werden, nicht so gut, dass man sich in Details verliert. Ein Prototyp darf, ja soll sogar, an manchen Stellen unfertig wirken. Nutzer verzeihen das und konzentrieren sich auf das Wesentliche.

Freitag: Test – Lernen von echten Nutzern

Am Freitag zeigt sich, ob die Idee funktioniert. Fünf Nutzerinterviews à 60 Minuten liefern klare Erkenntnisse. Während ein Teammitglied die Interviews führt, beobachtet der Rest per Livestream und dokumentiert Reaktionen, Zitate und Erkenntnisse.

Warum genau fünf Nutzer? Forschungen von Jakob Nielsen zeigen: Ab dem fünften Test wiederholen sich die Erkenntnisse. Mehr Tests bringen nur marginalen Mehrwert, weniger Tests riskieren blinde Flecken.

Rollen im Design Sprint: Wer macht was?

Ein erfolgreicher Design Sprint braucht klare Rollen: den Decider mit Entscheidungsbefugnis, den Facilitator zur Prozesssteuerung und ein interdisziplinäres Team aus maximal sieben Personen. Diese strikte Teamstruktur verhindert Endlos-Diskussionen und ermöglicht die hohe Geschwindigkeit.

Der Decider

Die wichtigste Rolle. Der Decider hat die Autorität, finale Entscheidungen zu treffen – etwa welcher Lösungsansatz prototypiert wird. Ohne Decider verliert der Sprint seinen Kern: die Fähigkeit, in fünf Tagen zu klaren Ergebnissen zu kommen.

Ideale Decider sind CEOs, Produktverantwortliche oder Projektleiter mit Budget- und Strategieverantwortung. Der Decider muss nicht jeden Tag vollständig anwesend sein, aber an kritischen Entscheidungspunkten zur Verfügung stehen.

Der Facilitator

Der Facilitator führt durch den Prozess, achtet auf die Zeit und moderiert Diskussionen. Diese Rolle erfordert Erfahrung mit der Methode – ein unerfahrener Facilitator gefährdet den gesamten Sprint.

Externe Facilitatoren kosten zwischen 800 und 2.000 Euro pro Tag, je nach Erfahrung und Region. Die Investition lohnt sich, zumindest für die ersten ein bis zwei Sprints. Danach können erfahrene Teammitglieder die Rolle übernehmen.

Das Sprint-Team

Das ideale Team besteht aus 5-7 Personen mit unterschiedlichen Perspektiven: Produktmanagement, Design, Entwicklung, Marketing, Kundenservice. Google Ventures empfiehlt die "Pizza-Regel": Wenn zwei große Pizzen das Team nicht satt machen, ist es zu groß.

RolleAufgabe im SprintTypischer Hintergrund
DeciderFinale EntscheidungenCEO, Produktleitung
FacilitatorProzesssteuerungCoach, Berater, PM
DesignerPrototypingUX/UI-Design
EngineerTechnische MachbarkeitEntwicklung
MarketingMarktperspektiveMarketing, Vertrieb
SupportKundenperspektiveKundenservice
ExpertFachwissenJe nach Thema

Warum ein dedizierter Raum Pflicht ist

Der Design Sprint erfordert einen Raum, der das Team für fünf Tage ungestört arbeiten lässt. Unterbrechungen, wechselnde Räume oder fehlende Materialien können einen Sprint scheitern lassen. Der Raum selbst wird zum Werkzeug – Wände voller Notizen, Sketches und Entscheidungen erzählen die Geschichte des Sprints.

Anforderungen an den Sprint-Raum

Der ideale Raum bietet:

  • Mindestens 30 qm für 7 Personen
  • Große Wandflächen (beschreibbar oder mit Whiteboards)
  • Natürliches Licht
  • Gute Belüftung
  • Schließbare Tür (keine Durchgangszimmer)
  • Stabiles WLAN
  • Stromversorgung für Laptops

Ausstattung Checkliste

KategorieMaterialMenge
SchreibmaterialWhiteboard-Marker20+
Sharpies (schwarz)20+
Post-its (gelb, 7,6 x 7,6 cm)500+
VisualisierungWhiteboard/Wandfläche10+ qm
Flipchart-Papier20 Blatt
Klebepunkte (rot, grün)200+
PrototypingPapier DIN A4100 Blatt
Scheren4-5
Klebeband3 Rollen
TechnikTimer/Stoppuhr2
Beamer/Monitor1
VerpflegungSnacks, GetränkeTäglich frisch

Jake Knapp betont im Sprint-Buch: "The room should be a project war room." Die Wände erzählen die Geschichte des Sprints – von den Zielen am Montag über die Sketches am Dienstag bis zum Storyboard am Mittwoch. Wer am Donnerstag den Raum betritt, sieht sofort, woran das Team arbeitet.

Design Sprint 2.0: Was sich verändert hat

Seit der Veröffentlichung des Sprint-Buchs 2016 hat sich die Methode weiterentwickelt. Der Design Sprint 2.0, geprägt von der Berliner Agentur AJ&Smart, komprimiert den Prozess auf vier Tage und integriert neue Methoden. Diese Variante hat sich besonders in Europa etabliert.

Die wichtigsten Änderungen:

  • Vier statt fünf Tage: Der Montag wird gestrafft, Teile von Montag und Dienstag fallen auf einen Tag.
  • Lightning Demos: Konkurrenz- und Inspirationsbeispiele werden systematischer analysiert.
  • Verbesserte Voting-Methoden: Klarere Regeln für die Entscheidungsfindung.
  • Remote-Adaptionen: Anpassungen für verteilte Teams mit Tools wie Miro und Zoom.
Für welche Variante Sie sich entscheiden, hängt von Ihrem Kontext ab. Der klassische 5-Tage-Sprint bietet mehr Raum für Reflexion, der 4-Tage-Sprint ist kompakter und oft leichter in Unternehmenskalendern unterzubringen.

Kosten und ROI: Lohnt sich ein Design Sprint?

Ein Design Sprint kostet je nach Durchführung zwischen 5.000 und 30.000 Euro – inklusive Facilitator, Raum, Materialien und der Arbeitszeit von fünf bis sieben Mitarbeitern für eine Woche. Dem gegenüber stehen potenziell eingesparte Entwicklungskosten von 50.000 bis 500.000 Euro für Produkte, die am Markt scheitern würden.

KostenpositionInterner SprintExterner Sprint
Facilitator0 € (eigene Zeit)4.000-10.000 €
Raummiete (5 Tage)500-2.000 €500-2.000 €
Materialien200-400 €Meist inkludiert
Arbeitszeit Team (7 Pers. x 5 Tage)10.000-20.000 €10.000-20.000 €
Testnutzer-Rekrutierung500-2.000 €500-2.000 €
Gesamt11.200-24.400 €15.000-34.000 €

Die Rechnung geht auf, wenn der Sprint eine Fehlentwicklung verhindert. Ein Entwicklerteam von fünf Personen kostet in Deutschland rund 50.000 Euro pro Monat. Drei Monate Entwicklung an einem Produkt, das niemand will, bedeuten 150.000 Euro Verlust. Ein Sprint für 20.000 Euro, der diese Erkenntnis in einer Woche liefert, ist eine lohnende Investition.

Wann ein Design Sprint die richtige Wahl ist – und wann nicht

Design Sprints eignen sich für konkrete Produktfragen mit hohem Risiko und Unsicherheit. Sie funktionieren weniger gut für sehr frühe Explorationen ohne klare Richtung oder für Probleme, die tiefere Nutzerforschung erfordern.

Ideale Anwendungsfälle

  • Neue Produktideen validieren, bevor entwickelt wird
  • Zwischen mehreren Produktrichtungen entscheiden
  • Festgefahrene Projekte wieder in Bewegung bringen
  • Strategische Optionen schnell durchspielen
  • Teams auf eine gemeinsame Vision einschwören

Weniger geeignet für

  • Völlig offene Innovationsfragen ("Was sollen wir als Nächstes machen?")
  • Probleme, die tiefe ethnographische Forschung erfordern
  • Inkrementelle Verbesserungen bestehender Produkte
  • Rein technische Herausforderungen ohne Nutzerbezug

Können wir einen Design Sprint auch in weniger als 5 Tagen durchführen?

Der klassische Sprint benötigt fünf volle Tage. Der Design Sprint 2.0 komprimiert auf vier Tage. Noch kürzere Formate wie "Design Sprint Light" (2-3 Tage) existieren, liefern aber weniger belastbare Ergebnisse, da insbesondere die Testphase leidet.

Brauchen wir einen externen Facilitator?

Für den ersten Sprint empfehlenswert. Externe Facilitatoren bringen Erfahrung mit typischen Stolperfallen und können sich voll auf die Prozesssteuerung konzentrieren. Ab dem zweiten oder dritten Sprint können erfahrene Teammitglieder die Rolle übernehmen.

Was passiert nach dem Sprint?

Der Sprint liefert Erkenntnisse, keine fertigen Produkte. Typische nächste Schritte: Konzeptverfeinerung basierend auf dem Nutzerfeedback, detailliertere Prototypen, Business-Case-Entwicklung oder – bei negativem Feedback – Pivot zu einem anderen Ansatz.

Funktioniert ein Design Sprint auch remote?

Ja, mit Anpassungen. Digitale Whiteboards wie Miro oder Mural ersetzen physische Wände, Videokonferenz-Tools ermöglichen die Zusammenarbeit. Die Nutzertest am Freitag laufen über Remote-Testing-Plattformen. Hybride Formate funktionieren oft am besten.

Wie rekrutieren wir Testnutzer für Freitag?

Beginnen Sie spätestens am Montag mit der Rekrutierung. Nutzen Sie eigene Kundenlisten, soziale Medien, Recruiting-Plattformen wie UserTesting oder Testbirds, oder beauftragen Sie spezialisierte Agenturen. Planen Sie eine Aufwandsentschädigung von 50-100 Euro pro Tester ein.


Quellen:

  • Knapp, J., Zeratsky, J., Kowitz, B.: Sprint (2016)
  • Google Ventures: The Design Sprint (gv.com/sprint)
  • AJ&Smart: Design Sprint 2.0 Methodology
  • Nielsen Norman Group: Why You Only Need to Test with 5 Users
  • McKinsey: The Business Value of Design (2023)
Artikel erstellt: Dezember 2025