Team Canvas Workshop: Teamidentität visualisieren & Zusammenarbeit stärken

Teams mit klarer Identität performen besser. Eine Studie von Google's Project Aristotle zeigt: Klarheit über Rollen und Ziele gehört zu den fünf wichtigsten Faktoren für Teameffektivität. Der Team Canvas schafft genau diese Klarheit – in einem kompakten, visuellen Format, das jeder versteht.
Was ist ein Team Canvas?
Der Team Canvas ist ein strategisches Management-Tool, das die wichtigsten Aspekte der Teamidentität auf einem einzigen Poster visualisiert. Entwickelt von Alex Osterwalder und Team, überträgt er das Konzept des Business Model Canvas auf die Teamebene. Die Struktur zwingt Teams, explizit zu formulieren, was sonst unausgesprochen bleibt.
Der Canvas besteht aus mehreren Feldern, die gemeinsam befüllt werden:
- People & Roles: Wer gehört zum Team und welche Rollen hat jeder?
- Common Goals: Was wollen wir gemeinsam erreichen?
- Personal Goals: Was will jedes Teammitglied persönlich?
- Values: Welche Werte leiten unser Handeln?
- Strengths & Assets: Welche Stärken bringen wir mit?
- Weaknesses & Risks: Wo liegen unsere Schwächen?
- Needs & Expectations: Was brauchen wir voneinander?
- Rules & Activities: Wie arbeiten wir zusammen?
Wann ein Team Canvas Workshop sinnvoll ist
| Situation | Nutzen des Team Canvas | Priorität |
|---|---|---|
| Neues Team formiert sich | Identität von Anfang an klären | Sehr hoch |
| Neue Teammitglieder kommen | Schnelles Onboarding, Werte-Transfer | Hoch |
| Team hat Konflikte | Erwartungen explizit machen | Hoch |
| Nach Restrukturierung | Neue Identität gemeinsam definieren | Sehr hoch |
| Jährlicher Review | Canvas aktualisieren, Entwicklung reflektieren | Mittel |
| Remote-Team startet | Verbindung trotz Distanz schaffen | Hoch |
Der ideale Zeitpunkt ist der Teamstart. In den ersten Wochen formen sich implizite Normen, die später schwer zu ändern sind. Ein früher Team Canvas Workshop lenkt diese Normenbildung bewusst.
Ich habe erlebt, wie ein Team nach sechs Monaten erstmals einen Canvas-Workshop durchführte – und dabei feststellte, dass die Hälfte der Mitglieder komplett andere Ziele verfolgte. Der Workshop kam spät, aber nicht zu spät. Die Klärung verhinderte einen Teamzerfall.
Die Canvas-Felder im Detail
People & Roles: Wer macht was?
Das Feld „People & Roles" dokumentiert alle Teammitglieder und ihre Verantwortlichkeiten. Es klärt nicht nur formale Rollen, sondern auch informelle – wer ist der Kulturträger, wer der Technik-Guru? Überlappungen und Lücken werden sichtbar.
Fragen für dieses Feld:
- Wer gehört zum Kernteam, wer ist erweitert?
- Welche formalen Rollen gibt es (PO, SM, Dev)?
- Welche informellen Rollen sind entstanden?
- Gibt es Rollenunklarheiten oder Konflikte?
Common Goals: Wofür existieren wir?
Gemeinsame Ziele sind der Nordstern des Teams. Ohne sie arbeiten Menschen nebeneinander her statt miteinander. Dieses Feld sollte 2–4 Ziele enthalten, die alle unterschreiben können.
Gute gemeinsame Ziele sind:
- Konkret genug, um Entscheidungen zu leiten
- Ambitioniert genug, um zu motivieren
- Von allen getragen, nicht vom Management diktiert
Personal Goals: Was will ich hier?
Persönliche Ziele anzusprechen fühlt sich zunächst ungewohnt an – aber sie beeinflussen das Verhalten stärker als gemeinsame Ziele. Wenn jemand primär Beförderung anstrebt und ein anderer Work-Life-Balance, entstehen Konflikte, die niemand versteht.
Dieses Feld schafft Transparenz. Nicht jeder muss alles teilen, aber die Grundrichtung sollte bekannt sein. Typische persönliche Ziele:
- Neue Technologien lernen
- Führungsverantwortung übernehmen
- Stabilität und Sicherheit
- Work-Life-Balance verbessern
- Sichtbarkeit im Unternehmen
Values: Was ist uns wichtig?
Werte sind die unsichtbaren Entscheidungsregeln des Teams. Sie bestimmen, wie mit Konflikten umgegangen wird, wie Qualität definiert ist und was „gute Arbeit" bedeutet. Implizite Werte führen zu Missverständnissen – explizite Werte zu Alignment.
Typische Teamwerte:
- Transparenz vs. Diskretion
- Geschwindigkeit vs. Qualität
- Autonomie vs. Abstimmung
- Innovation vs. Stabilität
Strengths & Assets: Was können wir gut?
Stärken bewusst zu machen steigert das Selbstvertrauen und hilft bei der Aufgabenverteilung. Teams, die ihre Stärken kennen, setzen Mitglieder gezielter ein und vermeiden Aufgaben, die niemand gut kann.
Unterscheide:
- Individuelle Stärken: Was bringt jede Person mit?
- Kollektive Stärken: Was kann das Team als Ganzes?
- Assets: Welche Ressourcen, Netzwerke, Tools haben wir?
Weaknesses & Risks: Wo sind unsere Lücken?
Schwächen zu benennen erfordert psychologische Sicherheit. Aber ohne Bewusstsein für Lücken kann das Team nicht gegensteuern. Dieses Feld ist oft das schwierigste – und das wertvollste.
Fragen:
- Welche Kompetenzen fehlen uns?
- Wo sind wir als Team anfällig?
- Welche externen Risiken bedrohen uns?
- Was könnte unser Projekt scheitern lassen?
Needs & Expectations: Was brauchen wir voneinander?
Unausgesprochene Erwartungen sind der häufigste Grund für Teamkonflikte. Dieses Feld macht Erwartungen explizit – an das Team, an einzelne Rollen, an externe Stakeholder.
Strukturiere die Diskussion:
- Was brauche ich vom Team, um gut arbeiten zu können?
- Was erwarte ich von [Rolle X]?
- Was brauchen wir von unserem Management?
- Was brauchen wir von anderen Teams?
Rules & Activities: Wie arbeiten wir zusammen?
Das letzte Feld dokumentiert die Arbeitsvereinbarungen des Teams – von Meeting-Rhythmen über Kommunikationskanäle bis zu Entscheidungsprozessen. Diese Regeln sind das operative Fundament der Zusammenarbeit.
Typische Inhalte:
- Welche Meetings haben wir wann?
- Wie kommunizieren wir (Slack, E-Mail, Anrufe)?
- Wie treffen wir Entscheidungen?
- Wie gehen wir mit Konflikten um?
- Wie feiern wir Erfolge?
Workshop-Ablauf: 2,5 Stunden zur Teamidentität
| Zeit | Phase | Aktivität |
|---|---|---|
| 0:00–0:15 | Einstieg | Check-in, Agenda, Canvas erklären |
| 0:15–0:35 | People & Roles | Individuelle Reflexion, Vorstellung |
| 0:35–0:55 | Goals | Common Goals, dann Personal Goals |
| 0:55–1:10 | Pause | – |
| 1:10–1:30 | Values | Werte sammeln, clustern, priorisieren |
| 1:30–1:50 | Strengths & Weaknesses | Stärken feiern, Lücken benennen |
| 1:50–2:10 | Needs & Expectations | Erwartungen explizit machen |
| 2:10–2:25 | Rules & Activities | Arbeitsvereinbarungen dokumentieren |
| 2:25–2:30 | Abschluss | Nächste Schritte, Foto, Check-out |
Moderationstipps
Stille Reflexion vor Diskussion: Lass Teilnehmer erst individuell auf Sticky Notes schreiben, bevor sie teilen. Das verhindert Gruppendenken und gibt Introvertierten Raum.
Timeboxing ernst nehmen: Diskussionen über Werte können endlos werden. Setze klare Zeitlimits und halte sie ein. Lieber ein unvollständiges Feld als ein überzogener Workshop.
Konflikte willkommen heißen: Wenn bei „Values" oder „Expectations" Spannungen auftauchen, ist das gut. Der Workshop ist der richtige Ort, um sie zu adressieren – nicht zu vermeiden.
Den Canvas lebendig halten
Ein Team Canvas, der nach dem Workshop in der Schublade verschwindet, war Zeitverschwendung. Der wahre Wert entsteht durch kontinuierliche Nutzung.
Integration in den Alltag
- Onboarding: Neue Teammitglieder durch den Canvas führen
- Retrospektiven: „Leben wir unsere Werte?" als Reflexionsfrage
- Konflikte: „Welche Erwartung wurde verletzt?" als Analyseinstrument
- Entscheidungen: „Passt das zu unseren Zielen?" als Prüffrage
Regelmäßige Updates
Plane quartalsweise oder halbjährlich einen Canvas-Review ein. Teams entwickeln sich, neue Mitglieder kommen, Ziele ändern sich. Der Canvas sollte diese Evolution abbilden.
Ein Team, mit dem ich arbeitete, hing seinen Canvas im Teamraum auf. Jede Retrospektive begann mit einem Blick darauf. Nach sechs Monaten war der Canvas voller Post-its mit Updates – ein lebendiges Dokument der Teamentwicklung.
Remote Team Canvas: Digitale Varianten
Verteilte Teams können den Team Canvas ebenso nutzen – mit digitalen Whiteboards wie Miro, Mural oder FigJam. Die Prinzipien bleiben gleich, die Umsetzung erfordert Anpassungen.
Vorteile digital
- Canvas bleibt persistent und zugänglich
- Asynchrone Vorbereitung möglich
- Leicht zu aktualisieren
- Keine Materialkosten
Herausforderungen
- Weniger Energie als physische Workshops
- Technische Hürden für manche Teilnehmer
- Nonverbale Kommunikation eingeschränkt
Varianten: Team Canvas für verschiedene Kontexte
Der Basis-Canvas (original)
8 Felder, universell einsetzbar, ideal für neue Teams. Ca. 2 Stunden Workshop-Zeit.
Der erweiterte Canvas
Zusätzliche Felder wie „Stakeholders", „Metrics of Success", „Communication Plan". Für komplexe Projekte oder größere Teams. Ca. 3–4 Stunden.
Der Mini-Canvas
Nur 4 Felder: Goals, Values, Rules, Needs. Für Time-Constrained-Situationen oder Team-Refresher. Ca. 60–90 Minuten.
Der Remote-First-Canvas
Zusätzliche Felder für verteilte Teams: „Time Zones", „Async vs. Sync", „Virtual Rituals". Adressiert die spezifischen Herausforderungen von Remote-Arbeit.
Fazit: Sichtbare Identität schafft Verbindung
Der Team Canvas ist kein Allheilmittel – aber ein mächtiges Werkzeug für Teams, die ihre Zusammenarbeit bewusst gestalten wollen. Die zwei bis drei Stunden Workshop-Zeit sind eine Investition, die sich über Monate auszahlt.
Das Geheimnis liegt nicht im Canvas selbst, sondern in den Gesprächen, die er auslöst. Wenn ein Team zum ersten Mal offen über persönliche Ziele, Erwartungen und Schwächen spricht, entsteht eine Verbindung, die kein Teambuilding-Event erreicht.
Starte mit einem einfachen Canvas. Halte ihn lebendig. Und beobachte, wie sich die Teamdynamik verändert.
Wie oft sollte ein Team seinen Canvas aktualisieren?
Ein Review alle 3–6 Monate ist sinnvoll. Zusätzlich bei größeren Veränderungen: neue Teammitglieder, neue Ziele, nach Konflikten. Der Canvas sollte die aktuelle Realität abbilden, nicht die Vergangenheit.
Kann ein Team den Canvas ohne externen Facilitator durchführen?
Ja, aber ein neutraler Facilitator ist hilfreich – besonders bei den sensiblen Feldern wie Weaknesses und Expectations. Wenn kein externer verfügbar ist, kann ein Teammitglied die Moderation übernehmen, sollte dann aber selbst weniger inhaltlich beitragen.
Was tun, wenn Teammitglieder nichts teilen wollen?
Das deutet auf mangelnde psychologische Sicherheit hin. Beginne mit weniger sensiblen Feldern (Roles, Goals). Biete anonyme Optionen an (Sticky Notes ohne Namen). Und: Niemand muss persönliche Ziele teilen, wenn er nicht möchte.
Funktioniert der Team Canvas auch für sehr große Teams?
Ab 12 Personen wird der Workshop schwierig. Alternativen: In Sub-Teams arbeiten und dann zusammenführen. Oder asynchrone Vorbereitung mit kürzerem Sync-Workshop. Die Diskussion, nicht das Befüllen, ist der wertvolle Teil.
Wie integriere ich den Team Canvas mit anderen Frameworks wie Scrum?
Der Canvas ergänzt Scrum, ersetzt es nicht. Die „Rules & Activities" können Working Agreements und Scrum-Events dokumentieren. Die „Common Goals" können Sprint- oder Produktziele referenzieren. Beide Frameworks fokussieren unterschiedliche Ebenen.
Stand: Dezember 2025
Quellen: Project Aristotle, Google re:Work Gallup State of the Global Workplace 2024 Gallup StrengthsFinder Research Atlassian State of Teams Report 2024


