Kill Your Darlings: Heilige Kühe gemeinsam schlachten

Ein Kill Your Darlings Workshop schafft einen sicheren Raum, um diese unberührbaren Themen zu benennen, zu hinterfragen und – wenn sinnvoll – zu eliminieren. Das Ergebnis: Weniger Ballast, mehr Fokus, höhere Energie.
Was sind „Heilige Kühe"?
Heilige Kühe sind Praktiken, Prozesse oder Überzeugungen, die nicht hinterfragt werden dürfen – obwohl sie oft längst ihren Sinn verloren haben.
Typische Merkmale
| Merkmal | Beispiel |
|---|---|
| „Das haben wir schon immer so gemacht" | Wöchentliches Status-Meeting, das niemand braucht |
| Emotional aufgeladen | Report, den der Gründer eingeführt hat |
| Keine messbare Wirkung | Prozess ohne klaren Output |
| Tabuisiert | Thema, über das man „nicht spricht" |
| Politisch geschützt | Initiative eines einflussreichen Stakeholders |
Wo verstecken sich heilige Kühe?
- Meetings: Regelmäßige Termine ohne klaren Zweck
- Reports: Dokumente, die erstellt, aber nie gelesen werden
- Prozesse: Workflows mit unnötigen Schritten
- Regeln: Policies, die aus Angst entstanden sind
- Tools: Software, die niemand mag, aber alle nutzen
- Projekte: Initiativen, die „zu groß zum Scheitern" sind
- Rollen: Positionen ohne klare Verantwortung
Warum ist das Schlachten so schwer?
Heilige Kühe werden durch psychologische und organisatorische Mechanismen geschützt.
Die Schutzmechanismen
| Mechanismus | Wirkung |
|---|---|
| Verlustaversion | Der Verlust wiegt schwerer als der potenzielle Gewinn |
| Sunk Cost Fallacy | „Wir haben so viel investiert, das können wir nicht aufgeben" |
| Soziale Erwünschtheit | Niemand will derjenige sein, der Kritik äußert |
| Machtstrukturen | Die Kuh gehört jemandem Wichtigem |
| Identität | „Das gehört zu uns, das macht uns aus" |
| Angst vor Konsequenzen | „Was, wenn wir es brauchen und es nicht mehr da ist?" |
Der Preis des Nicht-Handelns
Heilige Kühe kosten:
- Zeit: Meetings, Reports, Prozesse ohne Wert
- Energie: Frustration über sinnlose Arbeit
- Fokus: Ablenkung von wirklich Wichtigem
- Innovation: Neue Ideen haben keinen Platz
- Engagement: Mitarbeiter sehen, dass Sinnloses fortgeführt wird
Workshop-Ablauf: 2–3 Stunden
Vorbereitung
Teilnehmer:
- Team oder Abteilung (8–15 Personen ideal)
- Führungskraft als gleichberechtigter Teilnehmer (nicht als Richter)
- Optional: externer Facilitator für neutrale Moderation
- Flipcharts, Sticky Notes
- Rote Punkte für Voting
- „Schlachtbank"-Poster (für Kandidaten)
- „Friedhof"-Poster (für beschlossene Eliminierungen)
Phase 1: Kontext setzen (15 Minuten)
Den Rahmen erklären.
- Erklärung des Konzepts „Heilige Kühe"
- Beispiele nennen (neutral, nicht beschuldigend)
- Ziel: Raum schaffen, um das Unsagbare zu sagen
- Spielregeln: Keine Schuldzuweisungen, Fokus auf Zukunft
Phase 2: Sammlung – Die Herde identifizieren (25 Minuten)
Alle potenziellen heiligen Kühe sammeln.
Kategorien als Denkanstoß:
- Meetings, an denen wir teilnehmen
- Reports, die wir erstellen
- Prozesse, die wir befolgen
- Regeln, die wir einhalten
- Tools, die wir nutzen
- Projekte, an denen wir arbeiten
- Gewohnheiten, die wir haben
- Jeder schreibt still Kandidaten auf Sticky Notes (5 Min.)
- Keine Diskussion, keine Bewertung
- Auf „Schlachtbank"-Poster kleben
- Kurze Vorstellung jeder Kuh (ohne Rechtfertigung)
Phase 3: Kategorisierung (15 Minuten)
Die Herde sortieren.
Clustern nach:
- Art (Meeting, Report, Prozess, etc.)
- Bereich (Team, Abteilung, Organisation)
- Schwierigkeitsgrad (leicht vs. schwer zu ändern)
Phase 4: Analyse – Warum leben sie noch? (20 Minuten)
Für die größten Kühe: Was hält sie am Leben?
Für 3–5 ausgewählte Kandidaten diskutieren:
- Welchen ursprünglichen Zweck hatte das?
- Gibt es diesen Zweck noch?
- Wer profitiert davon?
- Was wäre das Schlimmste, wenn wir es stoppen?
- Was wäre das Beste?
┌─────────────────────────────────────────────┐
│ HEILIGE KUH: [Name] │
├─────────────────────────────────────────────┤
│ Ursprünglicher Zweck: │
│ ________________________________________ │
│ │
│ Heutiger Nutzen: │
│ ________________________________________ │
│ │
│ Was hält sie am Leben? │
│ ________________________________________ │
│ │
│ Was passiert, wenn wir sie schlachten? │
│ Schlimmstes: _____________________________│
│ Bestes: __________________________________│
└─────────────────────────────────────────────┘
Phase 5: Entscheidung – Schlachten oder nicht? (25 Minuten)
Für jeden Kandidaten entscheiden.
Drei Optionen:
| Option | Bedeutung |
|---|---|
| 🔴 Schlachten | Komplett eliminieren |
| 🟡 Verschlanken | Reduzieren, vereinfachen, seltener machen |
| 🟢 Behalten | Mit neuem Bewusstsein fortführen |
Methode:
- Dot-Voting für Priorisierung
- Diskussion der Top-Kandidaten
- Konsent-Entscheidung: „Gibt es schwerwiegende Einwände?"
Phase 6: Umsetzungsplan (20 Minuten)
Für beschlossene Schlachtungen: Wie machen wir es?
| Kuh | Aktion | Wer | Bis wann | Kommunikation |
|---|---|---|---|---|
| Beispiel | Beispiel | Beispiel | Beispiel | Beispiel |
Fragen klären:
- Wer informiert die Betroffenen?
- Gibt es eine Übergangsphase?
- Was tun wir mit der gewonnenen Zeit/Energie?
- Wie verhindern wir, dass die Kuh wiedergeboren wird?
Phase 7: Abschluss – Der Friedhof (10 Minuten)
Die geschlachteten Kühe würdigen.
- Symbolisch auf den „Friedhof" übertragen
- Kurze Würdigung: „Diese Kuh hat uns X Jahre gedient. Danke und auf Wiedersehen."
- Commitment: „Wir nutzen die gewonnene Zeit für..."
Varianten des Formats
„Was würdest du stoppen?"
Einfachere Version für kleinere Gruppen:
- Jeder nennt eine Sache, die er/sie stoppen würde
- Kurze Begründung
- Gruppe entscheidet gemeinsam
„Start-Stop-Continue"
Kombiniert mit positivem Framing:
- Stop: Was sollten wir nicht mehr tun?
- Start: Was sollten wir anfangen?
- Continue: Was sollten wir beibehalten?
„TRIZ" (Liberating Structure)
Noch provokanter:
- „Wie könnten wir das schlechtestmögliche Ergebnis erreichen?"
- Was davon tun wir bereits?
- Was davon können wir stoppen?
Typische heilige Kühe (und ihre Alternativen)
Das Status-Meeting
Problem: Wöchentliches Meeting, in dem jeder seinen Status berichtet. Meist langweilig, selten entscheidungsrelevant.
Alternativen:
- Asynchroner Status via Slack/Teams
- Stand-up nur bei Bedarf
- Fokus-Meeting nur für Blocker
Der Report, den niemand liest
Problem: Aufwendig erstellter Report, der in Postfächern verstaubt.
Alternativen:
- Leser fragen, was sie wirklich brauchen
- Dashboard statt Dokument
- Komplett streichen (Test: 3 Monate nicht senden, schauen ob jemand fragt)
Der Freigabeprozess
Problem: Mehrere Unterschriften für Entscheidungen, die keine brauchen.
Alternativen:
- Delegation an Einzelpersonen
- Freigabegrenzen erhöhen
- Vertrauen statt Kontrolle
Die Unternehmenskultur-Initiative
Problem: Programm, das viel Energie kostet, aber keine sichtbare Wirkung zeigt.
Alternativen:
- Fokus auf konkrete Verhaltensänderungen
- Beenden und Lessons Learned ziehen
- Neu konzipieren mit klaren KPIs
Widerstände im Workshop
„Das können wir nicht ändern"
Antwort: „Was genau hindert uns? Ist es eine echte Einschränkung oder eine Annahme?"
„Das wurde von oben vorgegeben"
Antwort: „Können wir das überprüfen? Wer hat es entschieden und warum? Gilt das noch?"
„Das brauchen wir vielleicht noch"
Antwort: „Können wir es für 3 Monate auf Pause setzen und schauen, ob jemand es vermisst?"
„Das ist politisch heikel"
Antwort: „Was wäre ein erster kleiner Schritt, der weniger heikel ist?"
Nach dem Workshop
Konsequent umsetzen
Der größte Fehler: Im Workshop Dinge beschließen und dann nicht umsetzen. Das zerstört Glaubwürdigkeit.
- Vereinbarte Aktionen zeitnah durchführen
- Erfolge kommunizieren („Wir haben X gestrichen und Y gewonnen")
- Geschlachtete Kühe nicht still wiederbeleben
Regelmäßig wiederholen
Neue heilige Kühe entstehen ständig. Den Workshop periodisch wiederholen:
- Jährlich als Team-Ritual
- Bei Strategieprozessen
- Nach größeren Veränderungen
Remote-Variante
Mit digitalen Tools funktioniert das Format auch virtuell.
Empfohlene Tools
- Miro/Mural: Digitale Schlachtbank und Friedhof
- Mentimeter/Slido: Anonyme Sammlung von Kandidaten
- Polling: Für Voting und Entscheidungen
Tipps für Remote
- Anonymität: Hilft bei heiklen Themen
- Breakout-Rooms: Für tiefere Diskussionen in Kleingruppen
- Timer: Klare Zeitboxen einhalten
- Chat: Für zusätzliche Kommentare und Reaktionen
Fazit: Mut zum Aufräumen
Heilige Kühe zu schlachten erfordert Mut – den Mut, Gewohntes zu hinterfragen, Unbequemes auszusprechen und Entscheidungen zu treffen. Der Workshop schafft den Raum dafür.
Das Paradoxe: Indem wir loslassen, gewinnen wir. Weniger sinnlose Meetings bedeuten mehr Zeit für echte Arbeit. Weniger überflüssige Reports bedeuten mehr Energie für wichtige Analysen. Weniger unnötige Prozesse bedeuten mehr Fokus auf Wertschöpfung.
Der nächste Schritt: Stell dir vor, du hättest einen Magic Button. Was würdest du verschwinden lassen? Das ist deine erste heilige Kuh.
Was, wenn die heilige Kuh dem Chef gehört?
Das ist der Elefant im Raum. Idealerweise nimmt die Führungskraft als gleichberechtigter Teilnehmer teil und zeigt Offenheit. Wenn das nicht möglich ist: Fokus auf Dinge, die das Team selbst beeinflussen kann.
Wie verhindere ich, dass geschlachtete Kühe wiedergeboren werden?
Dokumentieren, warum etwas gestoppt wurde. Erfolge sichtbar machen („Seit wir X gestoppt haben, haben wir Y gewonnen"). Bei Versuchen der Wiederbelebung auf die Entscheidung verweisen.
Was, wenn wir etwas Wichtiges stoppen?
Das Risiko ist meist kleiner als gedacht. Taktik: Auf Probe stoppen (3 Monate). Wenn niemand fragt oder leidet, war es nicht wichtig.
Wie gehe ich mit Widerstand um?
Widerstand zeigt, dass etwas Bedeutsames berührt wird. Zuhören, verstehen, gemeinsam entscheiden. Nicht zwingen.
Wie oft sollte man den Workshop machen?
Einmal jährlich als Routine. Zusätzlich bei größeren Veränderungen (neue Strategie, Reorganisation, neue Führung).
Stand: Dezember 2025
Quellen: Arthur Quiller-Couch – On the Art of Writing (Ursprung des Begriffs) Stephen King – On Writing: A Memoir of the Craft Liberating Structures – TRIZ Pip Decks – Workshop Tactics


